"Philosophie" bedeutet nicht nur "Liebe zu Weisheit", sondern ist in ihrer Essenz auch die Wissenschaft, welche die Liebe als schönste Kraft des Seins erforscht. So schildert bereits Sokrates in Platons Schrift "Symposion":

"Wer nämlich bis hierher in der Liebe erzogen ist, das mancherlei Schöne in solcher Ordnung und richtig schauend, der wird, indem er nun der Vollendung in der Liebeskunst entgegengeht, plötzlich ein von Natur wunderbar Schönes erblicken, nämlich jenes selbst ... um dessen willen er alle bisherigen Anstrengungen gemacht hat und welches der Anfang aller Dinge ist ... Dort allein (kann) ihm begegnen, indem er schaut, womit man das Schöne schauen muss; nicht Abbilder der Tugend zu erzeugen ... sondern Wahres." (210e-211a, 212a)


  Ähnlich wie Platon äußern sich später bedeutende Philosophen wie Augustinus, Bruno, Fichte u.a. In der neueren moderne Philosophie erforschte vor allem Max Scheler die universelle schöpferische Kraft und Bedeutung der Liebe:



 … alle Erweiterung und Vertiefung unseres Weltbildes ist an eine verangängige Erweiterung und Vertiefung unserer Liebessphäre geknüpft. … (doch nicht nur erkenntnistheoretisch, auch metaphysisch-ontisch …) Die Füllesteigerung in der Gegebenheit des Gegenstandes bei zunehmender Liebe und Interesse, ist nicht bloß eine Tätigkeit des erkennenden Subjekts, das in den fertigen Gegenstand eindringt, sondern gleichzeitig eine Antwortreaktion des Gegenstandes selbst: ein „Sichgeben“, ein „Sicherschließen“ und „Aufschließen“ des Gegenstandes, d.h. ein wahrhaftes „Sichoffenbaren“ des Gegenstandes. Das ist ein Fragen gleichsam der Liebe, auf das die Welt antwortet, indem sie sich erschließt und darin selbst erst zu ihrem vollen Dasein und Wert kommt.

 Wir finden einzig bei Augustinus und der augustinischen Tradition bis zu Malebranche und Blaise Pascal ernsthafte Anfänge, das christliche Grunderlebnis über die Beziehung von Liebe und Erkenntnis auch im Zusammenhang mit außerreligiösen Problemen begrifflich zu fassen. … Zum ersten Mal ist damit der Gedanke der schöpferischen Natur der Liebe rein und ohne die romantisch-platonische Reduktion des jeweils Neuen im Schaffen auf bloße Wiederkehr eines Bestehenden, auf bloße Erhaltung von Form und Gestalt, verkündet. … den ersten und einzigen Versuch, aus der neuen christlichen Erlebnisstruktur auch neue psychologische und metaphysische Einsichten zu gewinnen. …

 Denn nur eine besondere Form des tiefen metaphysischen Irrtums der Inder, es sei Liebe nur intuitive Erkenntnis der Einheit des Seins, bzw. Durchschauung der faktischen Scheinhaftigkeit von Trennung, Individualität, Vielheit, oder schärfer gesagt: es sei Liebe nur die Zueinanderbewegung der Teile eines ursprünglich Einen und Ganzen, liegt auch hier bei Platon vor. … Auch die Auffassung der geschlechtlichen Liebe zwischen Mann und Weib erhält so in Platons Annahme des Mythos (der Wiederfindung des Einen in Kugelgestalt) einen romantischen Charakter. …  Zwar ist Platons Lehre hoch hinausgehoben über alle modernen naturalistischen Versuche, die Erscheinung der Liebe an die vorgängige Geschlechtertrennung selbst zu binden, oder sie gar in allen ihren Arten als bloße Fortentwicklung des Geschlechtstriebes anzusehen. Umgekehrt ist ihm ist die Trennung der Geschlechter und ihr Zusammenwirken nur eine der Techniken der Natur, durch die sich die von dieser Trennung unabhängige kosmische Liebeskraft lebensschöpferisch betätigt. Aber die romantische und mystische Färbung des bloßen Sehnens nach einem alten Stadium (des ungeteilten Androgynen) … trägt auch seine Idee der geschlechtlichen Liebe in sich. Sie ist nicht prospektiv, sondern retrospektiv konzipiert.

 … Im christlichen Erlebnis hat sich eine radikale Umstellung von Liebe und Erkenntnis, von Wert und Sein vollzogen. … Nun gilt nicht mehr nur das griechische Axiom, dass Liebe eine Bewegung des Niederem zum Höherem, des Menschen zum selbst nicht liebenden Gott sei, sondern die liebevolle Herablassung des Höheren zum Niederen, Gottes zum Menschen, des Heiligen zum Sünder, wird selbst in das Wesen des Höheren, also auch des Höchsten aufgenommen. … das hat die Erlebnisstruktur der Welt, des Nächsten, der Gottheit gerade in diesem Punkt radikaler als je in der Welt geändert. (Doch) die gedankliche und philosophische Ausprägung dieser einzigartigen Revolution des menschlichen Geistes hat in fast unbegreiflicher Weise versagt.

(aus: Max Scheler: Liebe und Erkenntnis, zuerst 1916; nun in: M.Scheler, Von der Ganzheit des Menschen, Bonn 1991; 82ff.)


Auch in der neueren östlichen Philosophie gibt es starke Stimmen zur Philosophie der Liebe. So insbesondere bei Aurobindo Ghose:

 „Wenn Wissen die weiteste Macht des Bewusstseins ist, und seine Aufgabe darin besteht, zu befreien und zu erleuchten, ist dennoch die Liebe die tiefste und intensivste Macht des Bewusstseins, und es ist ihr Privileg, der Schlüssel zu den unergründlichsten und geheimsten Winkeln des evolutionären Mysteriums zu sein. ...

„Liebe ist die Krönung allen Seins und der Weg zu dessen Erfüllung. Durch Liebe erhebt es sich zur vollen Intensität, zu jeglicher Fülle und zum Entzücken der höchsten Selbst-Findung. … Liebe ist die Macht und Leidenschaft der Selbst-Seligkeit. Ohne Liebe mögen wir den verzückten Frieden seiner Unendlichkeit erlangen, das in sich versunkene Schweigen von ananda. Wir erfahren aber nicht ihre absolute Tiefe, ihren Reichtum und ihre Fülle. … Denn Liebe ist die Krone des Wirkens und die Blüte am Baum der Erkenntnis.“ (aus: Die Synthese des Yoga, 1991:558 ff.)

aus: https://imlove.jimdofree.com/philosophie/

PDF: Weitere Gedanken zu einem integralen Verständnis der Liebe bei Aurobindo Ghose und Mira Alfassa