TRAUMA-HEILUNG GEHT UNS ALLE AN


In einem 2006 veröffentlichten Buch mit dem Titel "Healing the Soul Wound" vertritt Eduardo Duran die Auffassung "aus den gesamten Forschungen zur Frage historischer Traumata und ihrer Weitergabe lasse sich mit guten Gründen ableiten, dass ein Trauma nicht nur intergenerational übertragen wird, sondern dabei auch noch zunimmt". Und weiter: "Was an Traumabewältigung nicht in einer Generation geleistet werde, bleibe den nachfolgenden Generationen überlassen. Traumata, die ungelöst weitergegeben würden, könnten in den Folgegenerationen schlimmer werden".

Ziemlich zu Beginn seiner Laufbahn war Duran im Zuge seiner Arbeit bei indigenen Lebensgemeinschaften in Kalifornien aufgefallen, dass diese Menschen die Auswirkungen, Folgen und Symptome der Traumata, denen sie unmittelbar ausgesetzt waren – Armut, Krankheit, Alkoholismus, getrennte Familien, körperliche und seelische Belastungen und manches Andere – ganz anders wahrnahmen und beschrieben als die übrige Gesellschaft. Das westliche Denken wurde von klinischen und pathologischen Begriffen für alle Arten emotionaler und zwischenmenschlicher Nöte beherrscht, aber in diesen indigenen Gemeinschaften benutzte sie niemand. Vielmehr bezeichneten die Menschen die Leiden, die mit der Kolonisierung durch die Europäer über sie gekommen waren, und sie seither Generation für Generation begleiteten, als versehrten Geist, Krankheit der Seele, Seelenwunde und Ahnen-Schmerz.

Was wir gerade wieder erleben mit einem neuen kollektiven, globalen Trauma, dass es nie nur Einzelne betrifft. Auch dramatische Familiengeschichten, mögen sie noch so privat und persönlich sein, beschränken sich trotzdem nie einfach auf eine Familie oder deren vielfältig verzweigten Stammbaum. Traumafolgen – letztlich die zunehmenden Auswirkungen persönlicher, familiärer und historischer Traumata – erfassen ganze Lebensgemeinschaften, Gebiete, Landstriche und Staaten. Die Last, die ein Einzelner oder eine Familie oder Gemeinschaft zu tragen haben, wirkt sich ausnahmslos und unweigerlich auf die gesamte Gesellschaft aus und erfasst auch alle, die sich nicht aufgrund einer gemeinsamen Identität oder Lebensform zugehörig fühlen. Die Wirkung menschengemachter Traumata beschränkt sich nicht auf die ursprünglich Betroffenen, sondern die Hinterlassenschaft eines Traumas formt und prägt unsere gesamte Welt: wie wir in ihr leben, wie wir sie sehen, wie wir einander wahrnehmen und verstehen. Wir können also davon ausgehen, dass wir alle bisher in eine traumatisierte, gespaltene Welt geboren wurden und dies auch immer noch so ist. Viele wissen, auch aus eigenem Erleben wie ein nicht geheiltes Trauma beim Einzelnen zu anhaltenden persönlichen Leiden und Fehlentwicklungen führen kann. Weniger ausgeprägt ist das Verständnis dafür, dass ein kollektives Trauma, wenn es nicht heilen kann, die Gesundheit ganzer Gesellschaften und ihrer Kultur belastet, ja unseren Heimatplaneten gefährdet. Offenbar schlagen sich die Symptome eines kollektiven Traumas überall nieder – in Kommunen, Schulen, Organisationen, Institutionen, Regierungen und Lebenswelten –, um dort aufzuzeigen, wo die Verletzungen und Brüche liegen, wo das Gleichgewicht gestört ist.

Die unerlösten Traumata sind wohl auch die systemische Ursache für die  Generationen übergreifende Verzögerung der wirklich lebensförderlichen, integralen, ganzheitlichen Evolution des Menschen und der Hauptgrund der Schäden, die die Menschheit der Natur zufügt.

Hier aus einem Bericht über Markus Hirzig, der in Berlin Gruppen zur Trauma Heilung anbietet, nach dem "Kollektiv-Traum-Integrations-Prozess"  von Thomas Hübl.

Markus Hirzig ist seit 2002 in Thomas’ Arbeit zur Integration kollektiver Traumata eingebunden. Seit etlichen Jahren stellt er sich Gruppenteilnehmern als Assistent zur Verfügung. Wenn man ihn fragt, wie es bei einem Trauma- Integrationsprozess  zugeht, was sich da tut, gibt er eine so plastische Antwort, dass man die Szenerie gleich vor Augen hat: "Irgendwann ist die Atmosphäre richtig aufgeladen, und zugleich ist es still, wie wenn der bei allen unbeliebte Onkel plötzlich dastünde und sich bei einer Familienfeier an den Tisch setzte. Keiner mag ihn um sich haben. Manche tun so, als wäre er gar nicht da, während andere sich verdrücken oder böse werden." Bei der ersten Welle der Prozessarbeit in großen Gruppen kommen genau diese Energien auf. Markus ... bezeichnet ein CTIP (Collective trauma integration process) mit 180 Teilnehmern als "kleine Gruppe". Oft sind es viel mehr Leute, und dann sei es ein wirklich großes Familienessen, und auch der plötzlich dastehende unbeliebte Onkel sei ein paar Nummern größer. In Deutschland handelt es sich da um den Holocaust. Dazu Markus: "Der Holocaust hat so viele bis dahin zwischen den Menschen bestehende Selbstverständlichkeiten über den Haufen geworfen und Menschen auf der ganzen Welt in Mitleidenschaft gezogen. Davon sind gewaltige Mengen noch nicht verarbeiteter Energie zurückgeblieben." Kein Problem verschwindet, indem man die Augen vor ihm verschließt. Wenn beim CTIP die erste Welle heranrollt, und unseren kollektiven Unwillen auslöst, das Trauma zu fühlen, zu verarbeiten oder auch nur zur Kenntnis zu nehmen, "schlafen die Leute schier ein, als hättest du Äther in den Raum geleitet". Die Grundenergie dieses Widerstands umschreibt Markus mit den Worten: "Nicht fühlen, nicht hinsehen, nicht einlassen." Da geht es ums Überleben, merkt er an. Und wie ändert sich das dann? "Es muss ein gewisses Maß an Kohärenz in der Gruppe gegeben sein, damit etwas aufgehen kann", sagt Markus. Das ist aber nicht ganz einfach. "Es ist ein bisschen so, als hielte ein Panzer auf dich zu und du versuchtest dir noch einzureden, dass alles in Ordnung ist." Anfangs ist die Energiewelle einfach "zu wuchtig", sagt Markus. "Viele zeigen sich dann erschüttert oder sogar verärgert. Andere sehen Bilder." Das können Bilder sein, die eine frühere Generation betreffen, merkt er an. Außerdem, fährt er fort, hat dieser Panzer seinen ganz eigenen Willen, er kommt einfach. "Da braucht man einen Dirigenten, der seine Sache wirklich versteht" –, jemanden, der die Präsenz aufrechterhält und den Prozess weiter zu lenken vermag. Thomas hat gelernt, wie er ganz nah an dieser Gruppenenergie bleiben kann. Er rät den Leuten nicht, ihre mitunter intensiven Gefühle auszuleben. Er leitet sie einfach an, bei diesem schrecklichen Film sitzen zu bleiben und ihn sich anzusehen, zu fühlen, wann sie abstumpfen oder schläfrig werden – diesen Film einfach zu verfolgen, ohne ihm den eigenen Stempel aufzudrücken. Das ist entscheidend. "Jede Familie hat ihr eigenes Skript, an das sie sich hält", sagt Markus. Und das gilt auch für ganze Gesellschaften. "In Deutschland lautet die Spielanleitung (nach dem Zweiten Weltkrieg): "Sieh lieber nicht hin. Dieses ganze Grauen erträgt man einfach nicht. Niemand hält das aus." Aber die durch Völkermord und Krieg entstandenen unvorstellbaren Schmerzen und Leiden verschwinden nicht von selbst. Markus zieht einen Vergleich: Das Ganze verwandelt sich in eine Art unsichtbaren giftigen See mitten im Ort. Alle trinken nach wie vor daraus und merken nicht, worum es sich handelt. Die Kinder werden krank, die Tiere werden krank, und niemand weiß, warum. Die Vögel, die Pflanzen, einfach alles wird krank. Und sieben Generationen später hat immer noch niemand etwas dagegen unternommen. "Wenn schlichte Kenntnis der Geschichte, eine rein mentale Übung, genügen würde, hätten wir die Sache schon gelöst", fährt Markus fort. Doch all das gespeicherte Gift, der energetische Rückstand von Kulturschock, historischem Trauma und den Leiden etlicher Generationen, muss zur Kenntnis genommen und gefühlt werden. "Es muss gelebt werden", wie Markus sagt. "Die Natur bringt sich selbst wieder ins Lot, aber große Wunden in Menschen  brauchen nicht nur Zeit, sondern vor allem Gemeinschaft." Auch dann noch ist die Arbeit des bewussten Presencing und der Integration dieser kollektiven Energien aus Markus’ Sicht "äußerst anspruchsvoll. Je mehr Licht hereindringt, desto verworrener werden die Dinge. Licht bringt Bewegung". Fragt man ihn, wie es in Berlin nach den vielen CTIP-Events im Laufe der letzten Jahre heute aussieht, setzt er ein breites Lächeln auf und sagt: "Da ist jetzt eine kleine Lücke in den Wolken".

Gerade macht Markus Hirzig diese Arbeit auch online und Thomas Hübl ja sowieso, weil er in Israel lebt. Seine Kurse sind vorwiegend  Englisch. Auch wir in den Bewusst-Seins-Räumen sind daran Licht in die Schattenthemen zu bringen.

Dazu bieten wir in Kürze Praxis-Gruppen als evolutionärer Sangha an. Online über die Lernplattform der Herbergen am Rande der Welt und auch als physische Veranstaltung.

Siehe auch: Entdeckungsreise zur Lebens- und Schöpferkraft (nur bis zum 13.05.2021 verfügbar)

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